Homepage der OTZ



Misstrauen fährt mit
Werner Marschner über Fabrik-Amateure, Training im Fliegerhorst und Blutpanscherei
(27.12.2007 / OTZ Gera / Andreas Rabel)

Werner Marschner hält ein von Jens Heppner signiertes Trikot in die Kamera. (Foto: OTZ/Tino Zippel) Brahmenau. Werner Marschner lebt für den Radsport. Als 6-Jähriger staunte er in seiner Heimatstadt Chemnitz über die Steher, die mit bald 100 Sachen um die Bahn kreisten. Selbst wollte der heute 88-Jährige auch Profi werden, fuhr als Fabrik-Amateur in den 30er Jahren für "Wanderer" Chemnitz. Und selbst als Steppke hörte er die "Alten" schon raunen, schnappte Gesprächsfetzen auf, hörte von Kokain und Aufputschmitteln bei den Radprofis. Das Thema ist so alt wie der Radsport selbst.

Der Krieg verhinderte, dass Werner Marschner zu den Profis aufstieg. Bis 1947 war er in russischer Gefangenschaft - zu alt für den Leistungssport. Doch ohne Radsport kann ein Marschner nicht sein, studierte an der DHfK in Leipzig Sport, arbeitete aber auch als Ingenieur für Feinwerktechnik. "Ich wusste ja damals nicht, ob der Sport zum Broterwerb reicht."

Ex-Trainer Werner Marschner mit Olaf Ludwig. (Foto: Jens Henning) Wolfgang Lötzsch war das größte Talent, das er je hatte. "Ihn hätte ich 1972 zum Olympiasieger machen können." 16 Jahre vergingen. Der Geraer Olaf Ludwig wurde unter "Masche" als erster Deutscher 1988 in Seoul Straßen-Olympiasieger und nach der Wende erfolgreicher Profi und Radsport-Manager. Mit Olaf Ludwig, aber auch mit Jens Heppner und Thomas Barth hat der Alt-Trainer noch Kontakt. Dass Ludwig noch einmal in den Radsport zurückkehrt, glaubt der 88-jährige Thüringer nicht. Heppner schon, er ist auf Sponsorensuche, will in zwei Jahren das Geld für ein neues Profiteam zusammen haben.

Dass es in Gera unter Sylvia Haueisen den Milram-Ableger für Jung-Profis gibt, hält Werner Marschner für einen Glücksfall. Und dass sein ehemaliger Schützling Gerald Mortag in Gera den Radsport "wachhält" freut ihn. Radsport braucht Talente, frische unverbrauchte Sportler. Auf den Profiradsport von heute, auf die Tour de France, auf Jan Ullrich ist Marschner nicht gut zu sprechen.

Dass im Radsport schon immer nachgeholfen wurde, sei kein Geheimnis. Jede Generation von Radsportlern hatte "ihre Mittelchen und Methoden". Vieles sei hingenommen, verschwiegen worden. Auch die Medien wollten nicht sehen, was nicht zu übersehen war. Es sei schon verwunderlich, "wenn jemandem Flügel wachsen, obwohl er kein Vogel ist". Marschner heißt das nicht gut, kann es aber auch nicht ändern. "Der Radsport war wie eine Bombe, irgendwann musste es explodieren." Aber die Art und Weise erzürnt den ehemaligen Trainer. Der Radsport sei stellvertretend für andere Sportarten "geschlachtet worden".

Dass die heutige Generation Radprofi "Blutpanscherei" betreibt, entsetzt auch ihn. Zu DDR-Zeiten, in den 70er Jahren, sei er mit Falk Boden, Thomas Barth und Olaf Ludwig in den Fliegerhorst nach Cottbus gefahren. "Wir haben dort unter Unterdruckbedingungen trainiert und sind dann nach Äthiopien in die Höhe gefahren." Auch das bringt sauerstoffreiches Blut, legal, aber "man muss sich schinden".

Werner Marschner ist überzeugt, dass man auch sauber Radsport auf höchstem Niveau betreiben kann. Einer wie Jan Ullrich habe "alles mitgebracht, aber nichts draus gemacht". Marschner, der seit elf Jahren im eigenen Haus in Brahmenau bei Gera lebt, verfolgt weiter den Radsport, wird sich auch die Tour de France 2008 anschauen, auch wenn er nicht mehr auf das Ereignis hinfiebert.

"Die Freude ist weg, das Misstrauen fährt mit", und das werde wohl noch "fünfzehn Jahre oder länger so bleiben".


Fenster schließen

27.12.2007 - www.otz.de