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Alles für die eine Runde
René Enders aus Auma startet in Peking im Teamsprint und lebt sein eigenes Sommermärchen.
(08.08.2008 / OTZ / Andreas Rabel)

Konzentriert: René Enders erlebt in Peking seine ersten Olympischen Spiele. (Foto: OTZ/Peter Poser) Ein Tag zum Verlieben. Ein Tag für kurze Röcke. Doch René Enders denkt an Makkaroni. Der 14-Jährige ist auf dem Weg von Auma nach Pausa, "weil meine Oma die besten Makkaroni der Welt kocht". Mit Kohlehydraten versorgt, schwingt er sich auf sein Mountainbike. 16 Kilometer lang ist der Rückweg.

In der Nähe der Zeulenrodaer Talsperre rauschen die Geraer Straßenradsportler an ihm vorbei. Sein Ehrgeiz ist geweckt, er tritt in die Pedale, das Spiel beginnt. Mal fährt er hinterher, mal führt er das Feld an. Am Abzweig Zadelsdorf stoppt das Begleitfahrzeug. Der Trainer der Geraer Renner, Gerald Mortag, kurbelt die Scheibe herunter: "Kennen Sie mich?" René Enders, noch ganz außer Atem nach dem Katz-und-Maus-Spiel, schüttelt den Kopf. "Ich bin Radsporttrainer, war auch mal Sportler", hört er. Dass Mortag dreimal Bahn-Weltmeister und Olympiazweiter war, weiß er nicht, woher auch. "Ich kannte Jan Ullrich, wusste, dass es Erik Zabel gibt. Radsport hat mich null interessiert", erinnert sich René Enders. Mortag überredet ihn, "komm doch mal nach Gera zum Probetraining". Sieben Jahre ist das her.

Am 15. August startet René Enders in Peking, als Anfahrer im Teamsprint. Das Velodrom in Peking kennt er, im Dezember war ein Weltcuprennen dort. "Der Holzbelag lässt schnelle Zeiten zu, die Luft ist trocken, es ist warm, die Halle ist komplett mit Fußbodenheizung versehen - ein Traum." Seit April schon weiß der 21-Jährige, dass er die Nummer eins im Teamsprint ist. Die vorläufige Krönung seiner noch jungen Laufbahn.

René Enders ist schnell vorangekommen. Der Begegnung an der Talsperre in Zeulenroda folgt das Probetraining in Gera, das erste Straßenrennen, dann sattelt er um. Andreas Wartenberg, sein erster Trainer in Gera, sieht, der Junge hat einen "sagenhaften Antritt", ist schnell. "Über Nacht wurde ich Bahnfahrer", sagt René Enders mit einem Schmunzeln. Das war 2003. Wenige Tage später richtet der SSV 1990 Gera die deutschen Nachwuchs-Meisterschaften im Bahnradsport aus. Enders schiebt sein Rad an den Start, wird Dritter im 500-m-Zeitfahren der Jugend und Zweiter im Teamsprint der Junioren.

Das ruft Jochen Wilhelm, den Erfurter Sprinttrainer auf den Plan. Enders wechselt ins Sprintteam nach Erfurt. So ist das in Thüringen üblich, trainiert fortan mit René Wolff, dem Weltmeister und Olympiasieger. "Das bringt einen schon vorwärts, wenn man tagtäglich mit den Besten der Welt trainiert." Inzwischen ist René Enders einer der Besten in seinem Metier. Er selbst sieht sich nicht als Talent, bringe zwar wohl die körperlichen Voraussetzungen für den Sprint mit, "aber ich muss mir alles sehr hart erarbeiten".

Vor vier Jahren in Athen erkämpfen die deutschen Teamsprinter mit René Wolff Olympiagold. In sein Tagebuch hat René damals mutig "Peking 2008" vermerkt und drei Ausrufezeichen dahinter gesetzt. "Das war ganz schön vermessen", sagt er grinsend, "doch man muss sich hohe Ziel setzen". Auf dem Weg dahin ist der Radsprinter Junioren-Weltmeister geworden, hat sich mehr und mehr "auf die eine Runde" festgelegt, Sprint und Keirin (Kampfsprint) vernachlässigt. "Alles, was länger als zweihunderfünfzig Meter ist, ist mir bis Peking schnuppe."

An Enders hängt es, ob das Teamsprint-Trio in die Gänge kommt. Er klemmt in der Startmaschine, der Countdown läuft, nach dem fünften Piepton geben die Klauen der Startbox das Hinterrad frei. Enders bringt eine Leistung von 2000 Watt auf für die ersten Pedalumdrehungen des nur 7,55 Kilo schweren Carbonrades. Eine Runde, das sind 250 Meter, muss er "treten, rühren, wühlen". Nach knapp 18 Sekunden ist alles vorbei.

René Enders ist jetzt 70 Stundenkilometer schnell, schert nach oben an den Rand der Radrennbahn aus. Er beobachtet wie der Mann, der eben noch seinen Windschatten genoss, die zweite Runde dreht, danach auch ausschert und der Schlusssprinter auf sich allein gestellt "das Rennen nach Hause fährt". Wenn alles klappt, die drei Rad an Rad eine Einheit bilden, das Tempo hoch halten, nur wenn sich keiner einen Fehltritt leistet, der kostet eine Hundertstel und im Teamsprint hängt es an Tausendsteln, dann könnte es für das Trio René Enders, Maximilian Levy und Stefan Nimke in Peking für eine Medaille reichen. "Das wärī ein Traum."

Er lebt seinen Traum. Aufs Handy hat er den Countdown des Starts gespeichert. Fünf Pieptöne erklingen, nach dem fünften muss er in die Pedale treten. Abfolge und Ablauf wiederholen sich, sind immer gleich. Teamsprint ist vor allem Kopfsache. Muskeln antrainieren, das sei kein Problem, aber im Augenblick des Starts "voll da sein, seine Leistung abrufen, das ist die Kunst". Enders hat für sich das Passende gefunden. Er hat die letzten 30 Sekunden vor dem Start aufs Handy gespeichert, "das ist meine Musik und die hörī ich jeden Tag". Der Ablauf ist ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen. Abschalten kann er bei Spaziergängen, hört Musik, hält über E-Mails mit der Welt Kontakt. Wenn es darum geht, zu sich zu finden, dann hilft ihm Jürgen Klinsmann. Als der 21-Jährige vor zwei Jahren auf den Film "Deutschland. Ein Sommermärchen" von Sönke Wortmann stieß, lief sein eigenes Sommermärchen ab. Enders beeindruckt, wie der Bundestrainer seine Spieler in der Kabine anspricht, den richtigen Ton trifft, motiviert, aufbaut. "Nach den Worten konnten die Jungs gar nicht verlieren." An die zehn Mal hat er den Film, der die deutsche Fußball-Mannschaft bei der Heim-WM 2006 begleitet, gesehen, die DVD hat er im Peking-Gepäck.

Teamsprint, sagt René Enders, sei mit Fußball zu vergleichen. "Man muss sich als Team finden, sich vertrauen können, Teil eines Ganzen werden, den Erfolg wollen." René Enders will den Erfolg. Er lebt für die "eine schnelle Runde". Bei 17,46 Sekunden steht seine Bestzeit, auf der Olympiabahn in Peking war er im Dezember 2007 17,60 Sekunden schnell. "Da geht noch was", sagt er. Im Erfurter Steigerwald simuliert er den Wettkampf. Erst geht es eine Bergkuppe hoch, bergab wird bis auf 70 km/h beschleunigt und in der Talsenke in die Pedale getreten, was das Zeug hält. "Man lernt bei maximaler Geschwindigkeit noch einen Tritt drauf zu setzen." Doch das ist nur ein Mittel zum Zweck. Um ins deutsche Olympiateam zu kommen, hat der Sprinter vom SSV 1990 Gera die vergangenen zwei Jahre noch härter, noch intensiver trainiert, noch mehr Zeit im Kraftraum verbraucht, seine Bestleistungen gesteigert. 205 Kilo schafft er im Tiefkniebeugen. Dabei misst der junge Mann nur 1,65 m, die Erfurter Teamkollegen rufen ihn Minimi. Seine Oberschenkel dagegen (61 cm Umfang) lassen ahnen, was in ihm steckt. Bei der Einkleidung der Olympiamannschaft in Mainz mussten drei zu enge Hosen in die Schneiderei. René Enders schmunzelt, wenn er daran denkt, die Freude auf Peking überstrahlt alles. "Alles ist so wie es sein soll", sagt er. Die Ausbildung bei der Bundespolizei ist auf den Sport abgestimmt, in Erfurt fühlt er sich wohl, lebt mit der Eisschnellläuferin Justine Zeiske. Nur eines ist schade: Morgen spielt Rot-Weiß Erfurt im DFB-Pokal gegen Bayern München. Klinsmann trainiert den deutschen Fußball-Meister und Enders hätte ihn zu gern beobachtet, oder noch besser - einen Treff vereinbart. "Man muss Träume haben, ich hebī mir was für die Zeit nach Peking auf."


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08.08.2008 - www.otz.de