Trotz Dopingvorwürfe und Dopingentlarvungen, die 94. Tour de France rollte von London nach Paris.
Trotz Dopingvorwürfe und Dopingentlarvungen,
die 94. Tour de France rollte von London nach Paris.

Gera, 10.08.2007
Der Profi-Radsport im Doping-Sumpf?
Mit der Tour de France brach die Enthüllungslawine los.


Die 94. Tour de France rollte 2007 von London nach Paris. Bei allen 189 Fahrern der diesjährigen Tour de France wurden bereits vor dem Start Blutkontrollen durchgeführt. Die Tests zeigten keine Auffälligkeiten. Dennoch wurden erhebliche Verstöße des Weltradsportverbandes UCI gegen die Richtlinien der Antidoping-Agentur WADA registriert. So konnten sich mehrere zur Dopingkontrolle bestimmte Fahrer in aller Ruhe, zum Teil mit erheblicher Zeitverzögerung und ohne die vorgeschriebenen Begleitpersonen des Verbandes, zu den Kontrollstellen begeben. Die Richtlinie schreibt aber vor, dass 'ab dem Moment der Benachrichtigung der Athlet zu jedem Zeitpunkt unter Beaufsichtigung bleiben muss'.
Instinktiv zur Tube gegriffen? T-Mobil-Radprofi Patrick Sinkewitz gesteht. Nach den Doping-Geständnissen im Vorfeld der Tour de France, wurde eine Woche nach dem Startschuss in London bekannt, dass der T-Mobile-Radprofi Patrick Sinkewitz bei einer Trainingskontrolle am 8. Juni positiv auf Testosteron getestet wurde. Der unter Doping-Verdacht stehende Tour-Spitzenreiter Michael Rasmussen wird aus der dänischen Nationalmannschaft und damit von der Weltmeisterschaft in Stuttgart und den Olympischen Spielen in Peking ausgeschlossen. Der für das niederländische Team Rabobank startende Profi stand für unangemeldete Trainings-Kontrollen nicht zur Verfügung. Am 25. Juli zieht das Rabobank-Team Michael Rasmussen zurück. Der Träger des Gelben Trikots wird beschuldigt, mehrere Dopingkontrollen verpasst und unkorrekte Angaben über die Orte seiner Trainings-Aufenthalte gemacht zu haben. Einen Tag zuvor wird der Kasache Alexander Winokurow vom Astana-Team des Blutdopings überführt. Die Probe stammte von seinem Etappensieg am 21. Juli. Das Astana-Team mit den Mitfavoriten Winokurow und Andreas Klöden steigt aus der Tour aus.
Ein für das wohl härteste Radrennen der Welt schon gewohntes Bild. Oder auch nicht! Tour-Gegner orakelten schon im Vorfeld, dass die Tour völlig im Doping-Sumpf untergehen wird. Ginge es nach ihnen, dann hätte das große stolze Radrennen in diesem Jahr überhaupt nicht stattgefunden. Doch die Tour rollte. Sie rollte ungebremst von London durch die Alpen und die Pyrenäen bis nach Paris auf den Champs Élysées. Noch bevor die Tour de France ins Rollen kam, hatte es endlose Enthüllungen um gedopte Radrennfahrer gegeben. Die Teilnehmer mussten sogar eine Ehrenerklärung abgeben, dass sie clean sind. Doch wie naiv muss jemand sein, der dann denkt, dass die Tour de France nun zu einem sauberen Rennen wird. Vielleicht ist die diesjährige Tour gerade wegen der Enthüllungen, die sauberste Tour der letzen Jahre. Keiner soll daran zweifeln, dass in den Jahren zuvor bei der Tour de France nicht gedopt wurde. Daran ändert auch nichts, wenn sich heute Radsportfunktionäre, Politiker und Medienvertreter in ihrer Entrüstung über die Doping-Praktiken fast überschlagen und meinen, 'so etwas hätte man nie gedacht'. Schlecht recherchiert, kann man da nur sagen. Was uns fehlt, sind gute und noch umfangreichere Kontrollen, meinen die einen. Andere nennen das Unheil beim Namen: Geldgier, Korruption und Werteverfall. Doch wie will man das Doping in den Griff bekommen? Allein mit verstärkten Kontrollen, mit Polizeirazzien in den Fahrerlagern, Hotels und Privatquartieren wohl kaum. Betroffene zeigen sich reumütig, sie verraten sich gegenseitig, bieten sich für die Kronzeugenregelung an, in Erwartung auf eine mildere Strafe. Doch wie sieht es mit der Lernfähigkeit aus? Medien ziehen sich von Fernseh-Übertragungen zurück, andere springen auf den Zug auf. Die einen verlangen härtere Strafen, andere rufen nach Amnestie. Was allerdings vermisst wird, das ist eine Ursachenforschung. Der Radsport wird als eine der schönsten und faszinierendsten Sportarten angesehen und war bisher immer ein Aushängeschild für die 'westliche Wertegemeinschaft'.
Immer neuer Druck, gnadenloses Leistungsprinzip, Ellenbogenmentalität und Werteverfall kommen zusammen. Was zählt, ist nur der Sieg. Selbst ein zweiter Platz bei der Tour ist da schon eine Enttäuschung. Es gibt kaum eine andere Sportart, die so abhängig ist von Sponsoren. Sponsoren- und damit auch Sportlerverträge sind häufig meist nur kurzfristig. Und was wollen Sponsoren sehen: Siege, Erfolge. Es geht immer um Sieg oder Rückzug! Davon hängen aber Existenzen ab, also braucht es mehr rote Blutkörperchen, also wird nachgeholfen. Was aber ist zu tun?
Daniel Becke. Was weiß er wirklich? Der Erfurter Radprofi Daniel Becke vom Thüringer Energie Team fühlt sich durch die Doper verletzt in seinen Grundrechten. In einem 'offenen Brief an die deutsche Politik' mit angehängter Petition schreibt der Olympiasieger: "Ich sehe mich bei der Ausübung meines Berufs als Profi-Radsportler in meinem Grundrecht der Handlungs- und Berufsfreiheit verletzt". Gleichzeitig kritisiert er zu geringe Präventivmaßnahmen im Kampf gegen Doping. Seine Haltung in Ehren, dennoch lässt er sich ein Hintertürchen offen: "Ich habe für jeden Radprofi Verständnis, der sich anders entschieden hat, weil die Argumente, die mich bewogen haben, nicht zu dopen, sehr privater Natur waren und es für mich ganz offensichtlich war, wievielen meiner Kollegen diese Argumente nicht zur Hand sind." Also bleibt die Hoffnung darauf, dass doch weiter gedopt wird!?
"Ich habīs versucht". Erik Zabel als reumütiger Dopingsünder. Für Milram-Profi Erik Zabel war die Benutzung von EPO 'nur ein Test'. "Es war einmalig und ich hab am Ende der ersten Tour-Woche (1996) diesen Test beendet. (…) Ich habe ihn deshalb beendet, weil ich mit Nebenwirkungen erhebliche Probleme hatte." Glück gehabt oder was wäre, wenn da nicht die Nebenwirkungen gewesen wären? Reumütig bekennt der Profi, ich habe es "immer wieder verneint, negiert, abgestritten, habe gelogen. Es tut mir leid." Warum eigentlich? Gehört es nicht zu unserem gesellschaftlichen Alltag, dass abgestritten und gelogen wird, das man sich nicht mehr erinnern kann und wenn etwas zugegeben wird, dann nur das, was gerade nachgewiesen wurde. Sollte der Sport da eine Ausnahme bilden?
Nur wenn Sportler auf ihr Maß des Möglichen zurückkommen, Sponsoren in ihren Ansprüchen bescheidener werden und Medien weniger auf Sensationsjournalismus setzen, erhält der Radsport die Chance sauberer zu werden. Doping ist ein gesellschaftlich flächendeckendes Phänomen, welches aber nur dann von Relevanz ist, wenn es um den Sport, und da speziell um den Radsport, geht. In einer Gesellschaft wo nur Leistung zählt, wird es immer Mittel und Wege geben, diese zu steigern. Wer wenig hat, will immer mehr und wer viel hat, will eben noch mehr. Und wer das erreichen will, muss seine Grenzen überschreiten, koste es was es wolle. Da sind Leistungsmissbrauch, Steuerhinterziehung oder 'schwarze Koffer' an der Tagesordnung und im Sport ist es eben das 'Doping'.
Die Ehrlichen, eben die Guten, sind immer die Dummen. Und wer dem Doping widersteht, muss sich eben mit weniger Erfolg zufrieden geben. Aber auch hier stellt sich die Frage, muss er es wirklich? Sind Sieger immer gedopt? Bestimmt nicht. Alle Profis unter Generalverdacht zu stellen, wäre nicht nur das Schlimmste, was dem Radsport passieren kann, es wäre auch das Dümmste. Schwarze Schafe gibt es überall, einmal weniger, einmal mehr. Viele Jahre ist es mit dem Doping gut gegangen. Nicht zuletzt auch, weil es die zuständigen Gremien bei der UCI an der notwendigen Konsequenz haben fehlen lassen und weil der Umgang mit Dopingsündern von Land zu Land unterschiedlich ist. Wer hier konsequent durchzieht, ist als Radsportnation schnell von der internationalen Spitze verschwunden. Hier hilft nur noch ein konsequentes Durchgreifen ohne wenn und aber. Wer ertappt wird, ist raus, raus für immer, was aber nur Wirkung zeigt, wenn in allen nationalen Radsportverbänden so verfahren wird und darin liegt schon eines der Probleme in Sachen erfolgreicher Anti-Dopingkampf. Mit Dopingmitteln wird aber nicht nur die Leistungsfähigkeit erhöht, sondern damit kann man auch gut und viel Geld verdienen. Und die, die damit das Geschäft machen, werden immer wieder Mittel und Wege finden, um Dopingmittel an den Mann oder die Frau zu bringen. Wie sagte doch Erik Zabel: "Es gab Gerüchte, man kann einfach gar nicht mehr erfolgreich sein, ohne Doping zu benutzen. In meinem Fall war es dann so, dass ich mich kurz vor der Tour de France 1996 auch dazu entschieden habe, EPO zu benutzen." Radsportler, vor allem Profis, sind bestimmt 'harte Kerle'. Sie sind aber auch nur Menschen, und der Mensch ist bekanntlich von Natur aus schwach. Eine Schwäche, die sich seit Jahrzehnten die Werbung immer mehr und mehr zu eigen gemacht hat. Und was auf diesem Sektor immer besser funktioniert, das gilt auch dafür, Menschen zu überzeugen, verbotene leistungsfördernde Mittel zu nehmen. Und so, wie viele den Tricks der Werbefachleute entsagen, gibt es eben auch Radprofis, die dem Doping widerstehen. Aber eben nicht jeder!
Es wäre blauäugig zu glauben, dass das Problem Doping an sich schnell zu lösen ist. Es werden immer wieder Dopingsünder entlarvt, vor allem, wenn die Kontrollmechanismen verstärkt werden. So war es eben auch bei der Tour de France. Für die einen wird die Tour de France als 'Tour de Farce' in die Geschichte eingehen und für andere wieder als die 'sauberste Tour' der letzen Jahre, auch wenn noch dieser oder jener Dopingvorfall bekannt werden sollte. Wer jetzt gedopt hat, der hat auch in den Jahren zuvor zu Dopingmitteln gegriffen. Und die es früher getan haben, haben es diesmal unterlassen. Vielleicht aus Angst vor Strafen oder auch, weil für sie das von ihnen mit der Unterschrift unter die Ehrenerklärung abgegebene Ehrenwort mehr bedeutet, als der Erfolg. Egal auch warum, sie haben auf jeden Fall dem Radsport wieder dazu verholfen, das Sport zur Ehrlichkeit und Fairness erzieht.
Was der Radsport, ja die Radsportler jetzt brauchen, ist Rückenhalt und Vertrauen bei Sportfunktionären, Politikern und den Medien. Die Fans stehen zu ihnen, in guten wie in schlechten Zeiten, das haben sie bewiesen bei der Tour de France wie auch bei zahlreichen Rundfahrten in Deutschland. Der Radsport ist tot, es lebe der Radsport!   (rs)

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10.08.2007 - www.ssv-gera.de